Frauen mit Kopftuch werden angespuckt, Männer mit Kippa werden tätlich angegriffen, Mo- scheen und
Synagogen erhalten Bombendrohungen. Über 50 Prozent der Deutschen sind anfällig für Islamfeindlichkeit,
jeder Vierte denkt antisemitisch. Es ist an der Zeit, Position zu beziehen. „Wir sind gefordert,
zusammenzustehen gegen Hass und Hetze, gegen Terror und Gewalt. Daran werden wir gemessen.“
(Bundespräsident Hans-Walter Steinmeier)
Der Lions Club Dorsten-Hanse hat deshalb den Schwerpunkt seines Programms 2019/20 dem Thema „Für
Vielfalt und Toleranz“ gewidmet. In Zusammenarbeit mit der Bürgerinitiative „Brückenschlag. Gemeinsam in
Dorsten als Juden, Christen, Muslime“ wurden Vortrags- und Diskussionsveranstaltungen, eine Kunstaktion und
eine Exkursion durchgeführt.
Tür auf für Toleranz - Ein Antirassismusbus
Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufe 8 des Gymnasiums St. Ursula Dorsten (Ltg. Sabine Janotta)
haben die Außenflächen eines Linienbusses der Vestischen Straßenbahn GmbH textlich und bildlich gestaltet.
Die Botschaften „Tür auf für Toleranz“, „Hier sitzen ALLE in einem Bus“, „Rassismus NICHT hinter diesen Türen“,
„Gemeinsam in Dorsten und darüber hinaus“ werden auf unbegrenzte Zeit auf der Buslinie SB 25 Dorsten-Marl
Recklinghausen auffällig sichtbar sein.
Nach den Attentaten in Halle und Hanau erhalten sie eine traurige Aktualität. Ermöglicht wurde das Projekt
durch die Vestische Straßenbahnen GmbH, die Stadtteilerneuerungsmaßnahme „Wir machen MiTte und den
Lions Club Dorsten-Hanse. Umgesetzt wurde das Projekt vom Gymnasium St. Ursula, der Stadtinfo Dorsten,
dem Jüdischen Museum Westfalen und dem Designbüro Marc Kiecok.
Jüdisch sein im Revier
Judith Neuwald-Tasbach, Vorsitzende der Jüdischen Kultusgemeinde Gelsenkirchen, berichtete über das
Leben mit dem Hass, über Hakenkreuze an der Synagoge, eingeschmissene Scheiben und Polizeischutz, aber
auch über die Ängste vieler Gemeindemitglieder, als Juden erkannt zu werden. Höchste Anerkennung sprach
sie als Schalke-Fan ihrem Verein aus, weil er sich seiner Verantwortung in der NS-Zeit gestellt und das
Schicksal jüdischer Spieler und Vereinsmitglieder öffentlich machte. Sie erzählte eindrucksvoll die Geschichte
ihrer Eltern, die sich als Überlebende des KZ Buchenwald bzw. Auschwitz nach dem Kriege in Gelsenkirchen
kennen und lieben lernten. Ihr Vater Kurt Neuwald baute nach seiner Rückkehr in seine Gelsenkirchener Heimat
die Jüdische Gemeinde wieder auf und vertraute als einer der wenigen Überlebenden seiner Familie auf eine
sichere Zukunft in Deutschland.
Doch Judith Neuwald-Tasbach muss heute feststellen: „Mein Vater würde sich angesichts antisemitischer
Straftaten im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, was derzeit passiert.“ Ihre konsequente Forderung lautet
daher: „Wer in diesem Lande lebt, muss sich mit dem Holocaust auseinandersetzen. Heute hat niemand mehr
Schuld, aber alle haben Verantwortung.“
Besuch der Neuen Synagoge Gelsenkirchen
Mit der gleichen Ernsthaftigkeit und Offenheit, mit der Judith Neuwald-Tasbach zum Thema „Jüdisch sein im
Revier“ Stellung genommen hat, führte sie ihre Gäste in der Neuen Gelsenkirchener Synagoge. Diese wurde
2007 an der Stelle eingeweiht, an der bis zur Pogromnacht 1938 jüdische Menschen beteten. Heute ist sie
zusammen mit dem Gemeindezentrum ein Haus der Begegnung und des Betens für ca. 350 jüdische Gläubige
aus Gelsenkirchen, Bottrop und Gladbeck. Trotz mancher Feindseligkeit hält die Gemeinde daran fest,
Führungen durchzuführen. „Das Kennenlernen ist so wichtig, um Vorurteile abzubauen und dem Hass zu
begegnen“ (Judith Neuwald-Tasbach).
Die Rolle der Frau im Islam - Fakten und Vorurteile
Der Islam ist in aller Munde und dabei wird die Rolle der Frau besonders kontrovers diskutiert. Ist das Kopftuch
ein Symbol der Würde oder der Unterdrückung? Die Antwort von Dr. Dina El Omari vom Zentrum für Islamische
Theologie der Universität Münster ist eindeutig: „Es muss allen Frauen möglich sein, selbst darüber zu
entscheiden, denn eine eindeutige Weisung zum Kopftuchtragen ist aus dem Koran nicht abzuleiten.“ Sie selbst
griff als 27-Jährige zum Kopftuch als selbstgewähltes Zeichen der Zugehörigkeit zum Islam, als ein Bekenntnis
zur Religion wie bei dem Kreuz an der Kette bei einer Christin.
Gibt es Geschlechtergerechtigkeit im Islam?
Die Antwort darauf lässt sich nicht ermitteln, wenn gesagt wird: „Wenn es da steht, dann ist es eben so!“
Richtiger sei es, so die Referentin, den Koran als Text seiner Zeit zu verstehen. Der Islam habe ein großes
Problem mit seinen patriarchalischen Strukturen und Koranauslegungen. Dadurch sei das Frauenbild und das
Verhältnis von Mann und Frau patriarchalisch geprägt.
Als Muslima und Feministin sucht sie nach einem weiblichen Zugang zu ihrer Heiligen Schrift. Doch diese
Sichtweise stößt in Deutschland und weltweit nicht immer auf Zustimmung. Dr. Dina El Omari überzeugte das
Dorstener Publikum mit ihrem Wunsch und Willen, eine für die heutige Zeit adäquate geschlechtergerechte
Auslegung der historischen Texte zu erarbeiten.
„Vielfalt ist für uns Lions unverzichtbar“, so titelte LION im März 2020. Die Mitglieder des Lions Clubs Dorsten-
Hanse werden auch zukünftig diesem Leitgedanken folgen. Dabei wird es dar- auf ankommen, Schönfärberei
und Bagatellisierung zu vermeiden und präzise in Analyse und Perspektive zu bleiben.
Franz-Josef Stevens
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